Rechtsextreme Gewalt in Bayern – Aufklärung und Fehleranalyse (2011)
Landesparteitag der bayerischen FDP
26.-27. November 2011 in Landshut
Beschluss zum Antrag D1
Rechtsextreme Gewalt in Bayern – Aufklärung und
Fehleranalyse
Die rechtsextrem motivierten Morde der Zwickauer Zelle haben Deutschland
erschüttert. Deutschlandweit konnten die Verbrecher unbehelligt unter uns leben,
zehn kaltblütige Morde verüben und brutale Banküberfälle begehen.
Auch im Freistaat Bayern verübte diese kriminelle Bande schwerste Verbrechen.
Zwischen 2000 und 2005 wurden in München und Nürnberg fünf bayerische Bürger
kaltblütig ermordet. Es ist heute noch nicht absehbar, ob weitere Verbrechen in
Planung waren oder vergangene Straftaten im Lichte der Erkenntnisse neu bewertet
werden müssen. Fest steht allerdings: Zwischen den jetzt bekanntgewordenen Taten
hatten die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden keinen Zusammenhang
gesehen. Damit stellt sich die Frage, ob es Defizite in der Arbeit und
Zusammenarbeit des bayerischen Verfassungsschutzes, des bayerischen
Landeskriminalamts sowie anderer Strafverfolgungsbehörden untereinander und mit
Behörden anderer Bundesländer gibt.
Bevor nun neue alte Maßnahmen, wie umfassende Datenverbünde, ein
Gemeinsames Terrorabwehrzentrum Rechts oder Speicherdateien, als Allheilmittel
dargestellt werden, muss deshalb klar sein: Transparente Sachverhaltsaufklärung
und schonungslose Fehleranalyse sind das Gebot der Stunde!
Die Opferfamilien sind jahrelang mit ihrem Leid und Schicksal allein gelassen
worden. Die Suche nach den Tätern im Verbrechermilieu hat vielerorts die Opfer in
die Nähe von Verbrechensstrukturen gebracht. Diese Vorwürfe haben alle
Opferfamilien jahrelang schwer belastet und belasten sie nach wie vor. Eine
vollkommene Aufklärung der Hintergründe sind wir insbesondere den Opfern und
ihren Familien schuldig.
Für die FDP ist das Engagement gegen Rechtsextremismus keine Saisonarbeit. Die
FDP Bayern handelt dabei nicht populistisch, sondern besonnen, konsequent auf der
Basis sachlicher Fehleranalysen und fordert alle politischen Parteien auf, von
unsachlichen Debatten Abstand zu nehmen.
Die FDP Bayern fordert:
1. Die Angehörigen der Opfer dieser Mordserie sind auch durch den Freistaat
Bayern, unter anderem durch die „Stiftung Opferhilfe Bayern“, angemessen zu
entschädigen. Offensichtlich gab es bei den Ermittlungen schwere Defizite.
Bayern muss jetzt schnell und umfassend helfen. Die FDP begrüßt, dass in
einem Staatsakt der Opfer gedacht wird, um die Verbundenheit mit ihnen
sowie ein aktives und sichtbares Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat
zu zeigen.
2. Der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Leuten) des bayerischen Landesamts
für Verfassungsschutz in neonazistischen Netzwerken, Organisationen und
Parteien zwischen 1998 und heute muss kritisch geprüft werden, besonders
hinsichtlich der Verwendung erhaltener Gelder für die Informationen.
Hinweisen auf Verstrickungen in Straftaten oder in gezielte
Falschinformationen muss schonungslos nachgegangen werden.
3. Ein NPD-Verbotsverfahren soll nur dann in Angriff genommen werden, wenn
es mit hinreichender Sicherheit zum Erfolg führt. Mit V-Leuten bei der NPD
gibt es keine Aussicht auf Erfolg. Mit der Debatte um das NPDVerbotsverfahren darf es keine Verengung der Auseinandersetzung mit
rechtsradikalem Gedankengut geben. Rechtsextreme Gesinnung wird mit
einem Parteienverbot nicht beseitigt.
4. Der Freistaat Bayern muss der Ausbreitung rechtsextremen und
antidemokratischen Gedankenguts aktiv entgegentreten. Deshalb müssen die
Zivilgesellschaft und die politische Bildung gestärkt werden. Es müssen
attraktive und wirkungsvolle Angebote für Aussteiger der rechten Szene
gemacht werden. Die notwendigen finanziellen Mittel müssen sichergestellt
werden.
5. Die Effektivität des Verfassungsschutzverbundes in Bund und Ländern muss
erhöht werden, damit Doppelstrukturen, sich überschneidende
Zuständigkeiten und Effizienzverluste zukünftig vermieden werden. Am Ende
dieser Überlegungen müssen auch organisatorische Konsequenzen, wie
beispielsweise die Reduzierung der bestehenden Landesämter für
Verfassungsschutz, gezogen werden.
6. Als eines der größten Landesverfassungsschutzämter soll der bayerische
Landesverfassungsschutz eine besonders aktive Rolle bei der
Neuorganisation und der Steigerung von Effizienz und Effektivität beim
Informationsaustausch innerhalb des Verfassungsschutzverbundes
einnehmen.
7. Unabhängig von einer Neuorganisation auf Länderebene müssen auch auf
Bundesebene Anstrengungen unternommen werden, um Effektivität und
Effizienz der Ermittlungen im Kampf gegen den Extremismus zu erhöhen. Der
Militärische Abschirmdienst (MAD) soll seine Zuständigkeit für
Rechtsextremismus deshalb an das Bundesamt für Verfassungsschutz
abtreten, damit die Kompetenz bei einer Behörde konzentriert wird.
8. Die FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag wird die neu geschaffenen
Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle des Landesamtes für
Verfassungsschutz intensiv und umfassend nutzen und damit einen Beitrag
zur Aufklärung leisten.
9. Die FDP-Landtagsfraktion wird aufgefordert, den Einsatz eines
Sonderermittlers oder Sondergremiums zur parlamentarischen Aufarbeitung
der Arbeit der Verfassungsschutz- und Strafverfolgungsbehörden im
Zusammenhang mit möglichen Taten der Zwickauer Zelle oder anderer
rechtsextremer Netzwerke in Bayern zu prüfen.
10. Die FDP bittet die Thomas-Dehler-Stiftung, ihre Informationskampagne mit
Argumenten gegen Rechtsextremismus zu verstärken – denn Argumente sind
die schärfsten Waffen einer wehrhaften Demokratie.
Die Politik muss hier entschlossen und geschlossen handeln.